Mittwoch, 11. Mai 2016

Alzheimer - ein langer Abschied

Mein Väterchen hat Alzheimer.
Früher dachte ich, dass dies eine Krankheit ist, bei der man sozusagen verblödet, aber das trifft es absolut nicht.

Mir scheint es eher, als würde mein Väterchen immer weiter auf das Wesentliche reduziert.
Zeit seines Lebens war er ein anständiger, pflichtbewusster Mensch und dass ist er auch heute noch.
Bzw. man merkt ihm auch heute noch an, dass er ein feiner alter Herr ist, wie mein Schwiegervater ihn nannte.

Der Umgang mit dieser Krankheit ist nicht ganz einfach und jeder muss seinen eigenen Weg finden.
Manche möchten einen Alzheimer-Kranken am liebsten vor der Welt verstecken, damit er sich nicht lächerlich machen kann,
einige können den Anblick desjenigen kaum ertragen
und wieder andere ... tja, ich freue mich, wenn ich sehe, wie viel Lebensfreude er noch empfindet.
Er hat immer gern mit uns gelacht.
Daran hat sich nichts geändert.
Ich glaube nicht, dass er noch weiß wer ich bin, aber das macht gar nichts, denn er freut sich so oder so, wenn wir da sind.
Hat er zu Beginn der Krankheit gelegentlich etwas Unsinniges gesagt, so werden mittlerweile die Momente rar, in denen man überhaupt noch versteht, was er sagen möchte.
Eigentlich passt es nur noch, wenn eine Art Automatismus wachgerufen wird.
Als eine Nachbarin ihm eine Geburtstagsgeschenk überreicht, bedankt er sich ganz klar und sagt "ich leg' das so lange mal hierher" und ich hätte ihm das Geschenk am liebsten noch ein paar Mal überreicht, weil es so schön war, ihn noch mal am Stück mit fester Stimme reden zu hören.

Ich finde, dass er das mit der Demenz ganz wunderbar macht.
Gern sitze ich mit ihm zusammen, denn er strahlt eine tiefe Zufriedenheit aus.
Er legt gern Dinge kantengleich aufeinander - die Zeitung mit einem Untersetzer zB
Auch schön muss es sein, etwas aus einem Glas ganz ruhig auf den Teller zu gießen.
Oder die eigenen Schuhe auszuziehen um fremde Schuhe anzuprobieren.

Mit ihm persönlich gibt es dabei keine Probleme.
Er ist ausgeglichen, zufrieden und immer bereit, Spaß zu haben.
Ein Problem ist eher das Beisammensein von Menschen, die mit ihm lachen möchten und können und denen, die es eben nicht ertragen können, was die Krankheit aus ihm macht.

"Machen wir uns über ihn lustig?", fragte meine Schwester einmal, als wir zu dritt gerade herzlich lachten.
Tja, macht man sich über einen Menschen lustig, wenn man ihm einen Schlüsselbund holt, weil er so gern Sachen anfasst?
Ihm noch einen Untersetzer holt, den er kantengleich mit auf seinen Stapel legen kann?
Nur so viel Kaffee in seine Tasse füllt, wie auf den Teller passt, damit es kein Problem ist, wenn er den Kaffee lieber umfüllen möchte, statt ihn zu trinken?
Ist es demütigend oder fürsorglich?

Ist es demütigend, wenn man kein Wort verstanden hat, aber am Tonfall erkennt, dass er einem gerade eine Sachinfo gegeben hat und deshalb laut mit "da hast du Recht!" antwortet, weil er dann zufrieden nickt?
Auf die Frage "12 oder 13!" ganz klar mit "12!" antwortet?
Seine Pflegerin ist darin, ihm zu antworten, so gut, dass ich einmal regelrecht zu ihnen ins Wohnzimmer rannte und fragte, was er denn gesagt habe, weil es aus der Ferne so überzeugend nach einer angeregten Unterhaltung klang.

Ich werde ihn jetzt erneut ein paar Monate nicht sehen und ich wage gar nicht zu überlegen, was bis September nun wieder alles verloren gehen wird. Im Oktober haben wir uns noch mit direktem Blickkontakt unterhalten, er nannte gelegentlich meinen Namen und wir konnten noch richtig lange Spaziergänge machen - zweimal am Tag 4 km wie nichts.
Im Mai blieb völlig unklar, ob er mich oder irgendwen noch irgendwie erkennt - klar war aber, dass er sich freute, dass ich da war. Und unser letzter Spaziergang führte langsam, aber zielstrebig in den Garten unserer Nachbarn, die sich aber durchaus freuten, uns zu sehen.

Nun, eines weiß ich sicher:
wenn wir miteinander lachen, dann lachen wir miteinander und ganz sicher nicht über ihn, denn wir haben ihn lieb und ich habe einen Wahnsinnsrespekt, was er in seinem Leben erreicht und aufgebaut hat.
Ich konnte in diesem Leben noch so viel Mist bauen oder "versagen":
sicher war, dass er mir aus der Patsche half.

Darum stellt sich die Frage, ob wir uns über ihn lustig machen, in dieser Form gar nicht.


1 Kommentar:

  1. Sehr bewegend, dieser langsame abschied auf raten. Alles gute von soleil

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